Arbeiten

Die Entwicklung und Nutzung von Werkzeug zur Erleichterung oder Ermöglichung von Handlungen ist ein grundsätzliches Kennzeichen der menschlichen Kultur. Jedes Zeitalter besitzt typische Utensilien, deren Einsatz in direkter Beziehung zu relevanten Herausforderungen und Entwicklungen steht. Auch für die Phase der Pandemie können wir solche Objekte identifizieren. Dazu gehört nicht nur medizinisches Gerät, sondern auch Dinge, die uns im neu organisierenden Alltag helfen können. Das Pandemische Werkzeug setzt genau in der sensiblen Zone der sozialen Isolation an: Mit pastell-bunten Gerätschaften soll hier das scheinbar Unvereinbare, nämlich Abstandhalten vs. körperliche Verbindung aufnehmen, ermöglicht werden. Je ein Griff an den beiden Enden eines elastischen Gummiseils gestaltet eine Verknüpfung zwischen zwei Menschen. Dank der etwas groben Bearbeitung, den intuitiven Formen und der fröhlichen Farben wirken diese Werkzeuge alles andere als klinisch. Dennoch ist diese Art Hilfsmittel erst einmal fremd, die Nutzung solcher Prothesen ungewohnt. Für ganz unsichere Interessierte zeigen Fotografien die möglichen Anwendungen. Man kann sich spielerisch nähern und unterschiedliche Abstände ausprobieren. Die körperliche Interaktion kann so zum Anlass einer Konversation werden, man verbindet sich plötzlich Dank des Werkzeuges über mehr als ‚nur‘ das Werkzeug im gemeinschaftlichen Experiment. Und selbst für Situationen ohne direktes Gegenüber gibt es etwas im Sortiment, z. B. in einer Art Reifrock. In diesen steigt man hinein, legt sich die neon-orangenen Gurte auf die Schulter. Ein Kranz aus bunten schlauch-artigen Luftballons, die vom keramischen Gerüst abstehen, sorgt für die gewünschte Distanz. Mit der Zeit werden diese Ballons ihre Luft und damit ihre Spannkraft und Länge verlieren. Mit diesem Schrumpfen schrumpft auch der mögliche Abstand. Auch in dieser sich langsam vollziehenden Veränderung zeigt sich symbolisch die seltsame Ambivalenz unserer Haltung der Monate in der Pandemie. Zwar verliert das bunte Geschirr seinen primären Nutzen – aber dieser Verlust signalisiert gleichzeitig den (Rück-)Gewinn. (Susanne Schwertfeger)